Die Schüler und Schülerinnen des Deutsch-Leistungskurses D1 saßen unwissend im Raum D303, als ihre Lehrerin, Frau Bähr, wie immer gut gelaunt, den Saal wie jeden Donnerstag betrat. Man wusste nicht, wie sollte es nun weitergehen, man saß kollektiv zwischen den Stühlen, ja fast ein Stuhlkreis des Unwissens. Wir hatten unser erstes Thema, einen modernen Roman, mit der ersten Kursarbeit, welche in der Stunde zuvor, am Montag, geschrieben worden war, beendet und wussten noch nichts von einer nächsten Lektüre, die anstünde, womit wir nun alle auf das Damoklesschwert der nächsten ISBN-Nummer warteten. Doch Frau Bähr überraschte uns ein weiteres Mal: Freies Schreiben stand auf dem Plan!
Enthusiastisch wurde halblaut diskutiert, Mindmaps erstellt und Schreibpläne ausgefeilt. Schließlich teilte Frau Bähr uns mit, dass wir, wenn wir Lust dazu hätten und unsere Texte für besonders gelungen hielten, an einem Wettbewerb teilnehmen könnten. So kam unser Kurs zu dem Schreibwettbewerb „Durchschrift“ zur Förderung junger Schreibtalente des rheinland-pfälzischen Ministeriums für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur. Bereits sechs Mal hatten 13- bis 23-jährige Schüler- und Schülerinnen, Auszubildende und Studierende, welche einen Bezug zu Rheinland-Pfalz vorweisen konnten, die Möglichkeit gehabt, ihre zaghaften bis waghalsigen Versuche an der Schreibkunst in die sachkundigen Hände der Jury zu übergeben. Die diesjährigen Literaturexperten, welche die Jury bildeten, waren Ruth Johanna Benrath („Rosa Gott, wir loben dich!“, Steidl Verlag, Göttingen 2009), Annegret Held („Armut ist ein brennend Hemd“, Eichborn, Köln 2015), Jens Schumacher (Saarländischer Kinder- und Jugendbuchpreis 2017 für „Morlo – Voll auf Steinzeit!“) und Ken Yamamoto (Poetry Slam Mainz, „Spree vom Weizen“ Berlin). Diese Menschen sollten nun also aus den eingesendeten Texten die kunstvollsten, amüsantesten, kreativsten und vielleicht auch die ehrlichsten Exemplare herauslesen, um diese Superlative zu einer Anthologie zusammenzufassen, welche als Ergebnis des Wettbewerbs  im Sommer feierlich vorgestellt und anschließend veröffentlicht werden sollte. Doch das war nicht alles: Ebenso winkt dem glorreichsten Schreiberling ein Mentoring der Juroren: Man würde als gemeinsam mit den Profis an seinen Texten, Gedichten und Epen nach Belieben schleifen, feilen und hämmern können, wenn man es denn nun geschafft hatte, etwas Außergewöhnliches und Besonderes zu kreieren. Da ich meinem recht ungewöhnlich entstandenen Text – „Novembernacht“ hatte ich ihn getauft – keine allzu hohen Chancen anrechnete, ich ihn allerdings trotzdem zusammen mit meinem Mitschüler Daniel Jilka eingereicht hatte, war mir all dies bis zu jenem denkwürdigen Tag jedoch recht gleich. Ich hatte den Schreibwettbewerb schlicht und ergreifend vergessen. In einer Deutsch-Stunde an  einem weiteren Donnerstag, als wir gerade zu Barock-Sonetten gestaltete Embleme vorstellen sollten, begann mein Handy in meiner Tasche aufdringlich zu surren und zu vibrieren. Offensichtlich hatte ich vergessen, es in der morgendlichen Eile aus oder wenigstens stumm zu schalten. Peinlich berührt öffnete ich den Reißverschluss und sah, dass wohl eine E-Mail gekommen war. Eine E-Mail des Ministeriums für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur. Die „Novembernacht“ schien offensichtlich mehr Potential gehabt zu haben, als ich in diesem Text gesehen hatte. Vielleicht sollte ich mir beim Schreiben besser zuhören. Ebenso überzeugend und gut angekommen ist ein Text zweier Mitschülerinnen meines Kurses, Pauline Brunn und Lea Held. Unsere Texte sollten nun also in die Anthologie übernommen werden – welch eine denkwürdige Sache. Nun, wir werden sehen, was uns die Zukunft in dieser Sache bringt, spannend bleibt es in diesen Zeiten sowieso. Eine aufregende Zeit, die vielleicht noch den ein oder anderen Menschen mehr zur Verschriftlichung des Wirklichkeitswirrwarrs, des großen Quarantäne-Kopfkinos oder zur Langeweile-Lyrik motivieren würde – zumindest wäre das zu hoffen. Für mich, als Genießer literarischer Mutausbrüche als auch für die Schreiberlinge, denn eines kann ich mich Gewissheit sagen: Denken, reflektieren, karikieren, exemplifizieren – all das macht einen weder dumm noch arm. (jvh)

Novembernacht von Johanna Häfflinger und Daniel Jilka

Einmal nicht Gras zum Mähen für Oma  von Pauline Brunn und Lea Held