Theater- und Bühnenbild-AG des Nordpfalzgymnasiums inszeniert die furiose Eigenproduktion „Rapunzel, lass dein Haar hernieder

Der Eintritt war frei – oder doch nicht? Denn das neueste Stück der NPG-Theaterleute begann, als sich am Donnerstagabend der Aula-Vorhang öffnete, mit dem Popsong der Gruppe Pur „Komm mit ins Abenteuerland“, in dem es heißt:  „Der Eintritt kostet den Verstand!“ und den konnte man tatsächlich verlieren in dem wirbelnden und verwirrenden Märchen-Panoptikum, das die von ihrem Spiel durch- drungenen Schüler/innen-Akteure da auf die Bühne zauberten. Auf der anderen Seite musste man den Verstand und alle Sinne doch zusammennehmen, wenn man nicht nur staunen, sondern dem verschlungenen Geschehen samt den vielen Anspielungen und Zitaten angemessen folgen wollte.
Das so anspruchsvoll konstruierte Stück war als Eigenproduktion  in der letzten Projektwoche entstanden. Ein „Kreativ-Team“, bestehend aus Schauspieler/innen und weiteren Mitgliedern, plante diesmal etwas mit dem Schwerpunkt „Märchen“. Es entstand „Rapunzel, lass dein Haar hernieder“, denn dieser Stoff ließ sich gut mit anderen märchenhaften Handlungssträngen verbinden. Und so ergab sich aus all dem, was der Prinz auf der Suche nach seiner Angebeteten erlebt, ein munteres  „Unveröffentlichtes – Tatsächliches – Hanebüchenes“, so der Untertitel. Und „hane- büchen“, oft ziemlich frech war  schon, wie hier mit dem ehrwürdigen Kulturerbe, mit den Märchen und Balladen umgesprungen wurde. Aber bei aller Verwandlung, Aktualisierung, dem Einsatz der Popmusik blieb  der – freilich „augenzwinkernde“ – Respekt vor dem Überlieferten doch immer wichtig, wie Markus Bock, der Leiter von Projekt, AG und Inszenierung in einem Vorgespräch betonte.


Entstanden ist eine liebevoll-groteske Collage von Märchen, Balladen, Popsongs und eigenen Ideen: Schon zu Anfang sichtbar in der Szene, als Rapunzel (Cassandra Gampfer) , von der bösen Zauberin auf einen verschlossenen Turm verbannt, sich vor Sehnsucht nach dem Prinzen verzehrt, den sie auf einem Fest kurz kennen- gelernt hat (= Märchen). Exaltiert schreit sie ihren Frust aber hinaus in Form von Annette v .Droste-Hülshoffs Ballade „Am Turme“ und gleichzeitig raunt aus dem Off Peter Gabriel sein melancholisch-düsteres „My body is a cage“ – enorme Wirkung! – Überhaupt die Verquickung Stoffe! Das Spiel mit typischen Handlungselementen wie Rätseln, Wünschen, Verfluchungen! Und dann das dreiste Abändern der altbekannten Geschichten und Figurenprofile –  ermöglicht durch die „Erzähler/innen“, die sich um die richtigen Varianten streiten: Neben Leah Chormann, Adeline Dotz, Lisa Gellrich und Monique Mayer erzählen vor allem Fabian Dettling und Hannah Rudolph. Ersterer bekommt „Berufsverbot“, weil er die Kinder mit seinem allzu argen, zumal auch unsittlichen Stuss „verrückt“ mache, die andere hält sich zugute, dass sie die Märchen „jugendfrei“ gemacht habe, indem sie etwa den bösen Wolf in einen harmlosen Vegetarier verwandelte – worüber dieser sich am Schluss beschwert: „Ich leide. Als Vegetarier werde ich in meinem Rudel nicht mehr akzeptiert!“
Der Protagonist des Stücks, der Ritter-Prinz Delorges, zur Hälfte aus Schillers Ballade „Der Handschuh“  stammend, wird als tumber („dümmlicher“) Held präsentiert, eine ebenso lächerliche wie von Felix Mayer toll gespielte Erscheinung.  Wie hat man ihn ausstaffiert  mit seinen orangenen Shorts! Selbst in Rüstung (mit Klobürste als Helmbusch) wirkt er komisch und zieht Don-Quijote-artig mit seinem Knappen (Marcel Weiler)  durch den Märchenwald des glitschigen, ihm feindlichen „Schnatermann“, in zweiter Rolle gespielt von einem der Erzähler, die allesamt auch selbst in die Handlung eintauchen, so dass epische und szenische Darbietung immer wieder verschwimmen. Und der Prinz begegnet in diesem „Road Movie“ weiterhin: Schneeweißchen und Rosenrot, kapriziös dargeboten von den kleinen Zwillingen Leah und Sarah Hancock mit blonden Zöpfen, die dem Prinzen in Schnatermanns heimtückischem Auftrag Rätsel aufgeben, und den Sieben ZwergINNEN (!), die ihn am liebsten gleich dabehalten würden. Dörnröschen soll er wachküssen –  „Küsse sie endlich!“, ruft die Erzählerin, aber die Prinzessin (zum Glück gespielt von Nico Meyer) kann ihn gar nicht reizen, er will ja  Rapunzel finden, die ihrerseits in einer Zauberkiste flaschengeistgleich ein  Eichhörnchen (Lionel Sommer) findet, einen kleinen Springteufel mit schöner Maske. Der soll ihr gegen Nüsse ihren Prinzenwunsch erfüllen. Überhaupt ist der Prinz, der vorgibt, nur „nach dem Sinn des Lebens zu suchen“, von Frauen regelrecht eingekreist. Auch die Zauberin (Luisa Uptmoor) will ihn erwischen und hat den Wolf erpresst, ihn aufzuspüren. – Weitere Begegnungen: Hänsel und Gretel – die „jugendfreie“ Erzählerin beansprucht, sie vor dem Herd der Hexe bewahrt zu haben – , natürlich Rotkäppchen (goldig und putzig: Carolin Lommel) und die Großmutter, die endlich die erlösende Idee für das Happy End hat: Dem Ritter das finale Rätsel zu stellen, gesungen  von Paola: „Man kann es nicht hören, man kann es nicht sehn, / es tut oft weh und es ist doch schön …“: Alle tanzen übermütig und ausgelassen, indessen ist der Examinist  natürlich auch hier zu blöd auf die Lösung zu kommen, doch sein Knappe rettet ihn, und so kann Delorges Rapunzel endlich seine LIEBE gestehen mit dem Lied: „Ein Stern, der deinen Namen trägt…“. Das Ensemble (zu dem auch Emma Kurtz, Yannis Guthy und Luisa Wicht gehören) trägt Sterne mit lauter falschen Namen vorbei, weil der Ritter den Namen der Geliebten offensichtlich vergessen hat …
„Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute“, liest ein Erzähler vor. Aber wie leben sie? Der Vorhang öffnet sich noch einmal, und das Loriot-Ehepaar am Frühstückstisch erscheint: „Rapunzel, das Ei ist hart …“. – Das Stück endet mit turbulenten „Outtakes“, die alle Beteiligten noch einmal über die Bühne irren lassen, auch um noch alte Rechnungen zu begleichen. Das Publikum, bestens, liebenswürdig und geistreich unterhalten, spendet lebhaften Beifall, wie es auch im Stück immer wieder in rhythmisches Klatschen verfallen ist – es ist ja auch Fastnachtszeit.

Die Bühnenbild-AG unter Leitung von Eva und Anreas Nikolai hatte den Märchen- Wald und und den Rapunzelturm sehr imaginativ erschaffen: Massige Baumstämme

erwiesen sich als multifunktional und konnten durch Drehen kurzfristig Innenräume wie Großmutters Wohnstube erzeugen. Ein tolles Wikingerschiff durchpflügte die Wellen. Projektionen erzeugten Hintergründe im Stil von Kinderbuch-Illustrationen. Das Technische wurde realisiert durch die von Wolfgang Kreutz‘ geleitete AG, die zum Beispiel dem Schnatermannwald durch magisch grüne Beleuchtung den nötigen amphibischen Charakter gab und die aufwendigen Musik- und Geräuscheinspie- lungen zuverlässig zur Wirkung brachte. – Beglückendes Schultheater!

Christoph Hanselmann